Mittwoch 22.05.24, 08.30 Uhr, Amtsgericht Speyer.

Vor dem Jugendschöffengericht sollte die Frage geklärt werden, ob zwei einschlägig vorbestrafte Vorderpfälzerinnen sich erneut einer Straftat schuldig gemacht haben und wenn ja, wie tief sie in die Vorkommnisse verstrickt sind.

Kurz vor der Verhandlung ergibt sich die Gelegenheit kurz mit einem der Verteidiger der beiden angeklagten jungen Frauen über den Anlagevorwurf zu sprechen:

Herr Rechtsanwalt, was genau wird heute hier verhandelt? Die beiden Angeklagten sollen ja schon zuvor mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sein, zumindest wurde eine der beiden gerade polizeilich in Handschellen vorgeführt. „Das ist richtig. Konkret wird ihnen vorgeworfen, zusammen mit einem dritten Angeklagten, den Geschädigten – angeblich eine nächtliche Zufallsbekanntschaft in Frankfurt am Main – nach durchzechter Nacht beraubt und ihn dabei mit Pfefferspray besprüht und mit Tritten und Schlägen traktiert zu haben, nachdem dieser bereits am Boden lag. Der Dritte wurde in der betreffenden Sache bereits in Frankfurt rechtskräftig verurteilt und soll hier als Zeuge vernommen werden“.

Was sagt denn Ihre Mandantin Frau R. dazu? Und was war denn die Beute? „Meine Mandantin sowie die Mitangeklagte B. bestreiten die Vorwürfe bzw. schweigen bisher zur Tat. Es soll sich um einhundert Euro und eine kleine Musik-Box handeln“.

Was wird passieren, wenn sich die Tatbeteiligung umfänglich beweisen läßt? „Dann kann das Ziel der Verteidigung einzig die Bildung einer neuen Einheitsjugendstrafe sein, die im Idealfall noch zur Bewährung ausgesetzt wird“.

Wieso erwarten Sie ein so hohes Strafmaß? Weil meine Mandantin, obwohl zum Zeitpunkt der Tat vor gut 2,5 Jahren erst 17 Jahre alt war, aber für Jugendliche eine schon nicht unerhebliche Vorstrafe mitbringt. Dies gilt erst recht für die zweite Angeklagte, die wegen anderer Delikte zur Zeit in Zweibrücken einsitzt.

Gibt es abgesehen vom Geschädigten und dem Täter weitere Zeugen und ist überhaupt damit zu rechnen, daß der bereits Verurteilte überhaupt halbwegs sachlich bzw. wahrheitsgemäß aussagen wird? „Sein Fall wurde in Frankfurt bereits getrennt verhandelt, weil bei ihm als Erwachsenen das Gericht des Tatortes zuständig ist. Es galt also das Tatortprinzip, zumal er auch in Frankfurt wohnt und ebenfalls mehrfach vorbestraft ist. Überdies steht im Raum, daß noch eine weitere männliche Person beteiligt gewesen sein soll. Bzgl. diesem ist bisher nur sein „Spitzname“ bekannt. Das wird sich im Verlauf der Hauptverhandlung sicherlich klären lassen, ob dem so ist und wenn ja, um wen es sich handelt“.

Zu Gericht sitzen im Falle des Jugendschöffengerichtes: ein/e Richter*in, ein/e Staatsanwalt*in, ein/e Protokollführer*in und zwei Schöffen*innen (Laienrichter). Im konkreten Fall wird die Verhandlung durch die Vorsitzende Richterin Frau Umelao-Wells geleitet. Im Raum anwesend sind ferner ein Bewährungshelfer, ein Vertreter des Jugendamtes und zwei Justizvollzugsbeamte.

Schwerer Raub oder doch nicht?

Was nun folgt ist eine Reihe von reichlich widersprüchlichen Aussagen des ersten Zeugen und den beiden jungen Damen, die (nach Beratung mit ihren Anwälten) nun doch Angaben zum Hergang machen wollen. Der zweite Zeuge, der Geschädigte, ist trotz Ladung nicht erschienen. Er ist per Telefon erreichbar und hat keine hinlängliche Begründung, warum er unentschuldigt fernbleibt, was ihm ein Ordnungsgeld von 150.- einbringt.

In Folge verliest die Richterin über 1,5 Stunden die Strafregister und Führungsberichte der beiden heute gerade Mal 20 und 22 Jahre alten Angeklagten. Darunter zum wiederholten Male Bedrohungen und Einschüchterungen Dritter, Sachbeschädigung von Dienstfahrzeugen, Schlägereien, ja sogar massive Körperverletzung einer Schwangeren, der Einsatz von Pfefferspray, Diebstahl, Leistungserschleichung, etc. Das Verletzen von Personen wurde also immer wieder billigend in Kauf genommen, um ihren Frust los zu werden oder Dominanz zu zeigen. Glücklicherweise sind bei den betroffenen Opfern keine bleibenden Schäden zurückgeblieben. Zur Sprache kommen im Falle der R. ferner regelmäßige Drogentests wegen Cannabiskonsum.

Des weiteren wird über die zahlreichen, vielfältigen seit Jahren offerierten Unterstützungs-, Ausbildungs- und Therapieangebote informiert, damit beide den Teufelskreislauf aus unstrukturiertem Tagesablauf und falschen Freunden durchbrechen können. Jedoch vergeblich, denn fast alle Maßnahmen wurden ignoriert, abgebrochen, Termine nicht eingehalten oder als unnütz erachtet. Einzig den Hauptschulabschluß mit recht guten Noten haben beide inzwischen nachgeholt. Während die ältere Angeklagte B. im Gefängnis arbeitet und Geldstrafen abbezahlt, sieht die unter Bewährung stehende R. seit zwei Jahren keinen Grund sich um eine Tätigkeit zu bemühen. Das hätte für sie alles keinen Sinn, da sie wisse, daß sie nach drei Tagen nicht mehr hingehen würde und nur weitere Panikattacken bekäme. Beim Begehen der Straftaten davon keine Spur. Auf Nachfrage der Richterin, welcher Art die Panikattacken seien, konnte die Beklagte keine konkreten Merkmale nennen, wurde stattdessen ausfällig. Tränen steigen ihr in’s Gesicht; ob über die eigene verfahrene Lage oder das gesellschaftliche Unverstandensein (Ursache und Schuld sei die Scheidung der Eltern vor einigen Jahren?) blieb offen. Einzig um das Sorgerecht ihres inzwischen vierjährigen Sohnes (lebt bis auf weiteres in einer Pflegefamilie, sie hat ein Besuchsrecht von 1,5 Stunden pro Monat) und eine eigene Wohnung zu bekommen, zeigt sie sich halbwegs verläßlich und zielstrebig. Manch ein Gutachter bezeichnet derartige Tagesabläufe als „klassische parasitäre Lebensführung“.

Wer die beiden jungen Frauen sieht, würde alle diese Taten und Vorkommnisse nicht vermuten. Aber offensichtlich braucht es nur einen minimalen Auslöser oder kleinste Meinungsverschiedenheiten, um die besagten Aggressionsschübe, sprich Straftaten auszulösen.

Nach fast fünf Stunden Verhandlungsdauer und kurzer Urteilsberatung steht fest, daß man beiden die unmittelbare Tat, also Raub nachweisen kann. Die Richterin bezeichnete die Aussagen der beiden an einer Stelle im Prozeß als geradezu „abenteuerliche Räuberpistole“. Trotzdem fiel das Strafmaß – insbesondere im Falle der R. – wie von ihrem Verteidigern erhofft, gnädig aus.

In der Urteilsbegründung heißt es zum verhängten Strafmaß

Nach Durchführung der Beweisaufnahme stand zur Überzeugung des Jugendschöffengerichts fest, dass die beiden Angeklagten – wie von der Staatsanwaltschaft angeklagt – einen schweren Raub zum Nachteil des Geschädigten A. in Frankfurt begangen haben. Insbesondere die für das Gericht glaubhafte Aussage des ehemaligen Mittäters als Hauptbelastungszeugen, dass die eine der beiden Angeklagten „gepfeffert“ (Einsatz von Pfefferspray) habe und beide Angeklagten durch Tritte und Schläge auf den Geschädigten einwirkten und in Ausnutzung dieser Lage des Geschädigten dessen Geldbeutel samt Inhalt (100 Euro, diverse Karten) sowie eine Musikbox entwendeten, führten zur Verurteilung der beiden früher schon strafrechtlich in Erscheinung getretenen und hafterfahrenen Angeklagten, bei Abwägung aller für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände im Falle der B. zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren 11 Monaten sowie im Falle der R. zu einer solchen von 2 Jahren, die zur Bewährung mit umfangreichen Bewährungsauflagen, ausgesetzt werden konnte.

Was in jenen frühen Morgenstunden an der Konstabler Wache in Frankfurt also wirklich geschah, wird sich wohl nie genau klären lassen. Hauptsächlich, weil die beiden beteiligten Herren seinerzeit reichlich dem Alkohol zugesprochen hatten (insbesondere der Geschädigte hatte 2,39 Promille im Blut) und sie sich trotz mehrfacher Befragungen und Einvernahme bei Polizei und Staatsanwaltschaft nur vage an den Vorfall erinnern konnten und sich in Vermutungen ergehen. Insbesondere was eine mögliche Tatbeteiligung der besagten weiteren Person betrifft. Dieser Umstand kam den beiden jungen Frauen wohl eher zu Gute. Ihre Aussagen konnten in einigen Punkten mithin ebenfalls lückenhaft bleiben, d.h. ohne genaue Angaben, wie es zu dem plötzlichen Streit und der Attacke unter den Beteiligten in der Seitengasse zur „Konsti“ gekommen sein soll. Schlußendlich schoben sie die Hauptlast auf die nur vom Sehen bekannte Person mit dem Spitznamen.

Dieser soll sich jedoch regelmäßig an besagtem Ort in Frankfurt aufhalten. Warum haben sie dies nicht gleich zu Protokoll gegeben, dann hätte diese Person ermittelt werden können und die Verhandlung ggf. einen anderen Verlauf genommen. Von unterlassener Hilfeleistung, z.B. rufen eines Rettungswagens, ganz zu schweigen.

Fazit: Alles in allem eine unerfreuliche Geschichte und trotz intensivem Bemühens um Aufklärung und Wahrheitsfindung ein Kampf gegen Windmühlen. Die beiden sind also noch einmal glimpflich davon gekommen und haben so nun letztmalig Gelegenheit ihr Leben mittelfristig doch noch in den Griff zu bekommen. Wie heißt es so schön: „Wo anders zahlt man Eintritt für“ und so manche Prozeßbeobachtung (nur im Falle von Minderjährigen wird nicht öffentlich verhandelt) ist definitiv interessanter, als viele TV-Krimis.

 

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